Sachsenbahn
In Kürze: Rund vier Jahre sorgte der Unternehmer Antonio Moscato und sein in Gründung befindliches Verkehrsunternehmen SEG Sächsische Eisenbahn GmbH, kurz Sachsenbahn, für reichlich Trubel und bizarres Treiben in Mitteldeutschland. Moscato stolperte jedoch über zahlreiche Streitigkeiten, in manchen Situationen wahrscheinlich fehlende Sensibilität und Marktkenntnis sowie fehlende Bonität. 2011 versuchte sich Moscato als Bürgermeister einer Kleinstadt und scheiterte erneut.
Die Anfänge der Sachsenbahn reichen bis in das Jahr 2001 zurück. Der aus Heidelberg stammenden Volkswirt und ehemaligen Treuhandmanager Antonio Moscato, der seit 1991 in Leipzig lebt, suchte damals mit großformatigen Anzeigen in Tageszeitungen Personal für seine in Gründung befindliche „Sachsenbahn“. Diese sollte im Raum Leipzig Schienenpersonennahverkehr betreiben (SPNV). Moscato träumte gleich vom großen Schlag: ganze 4.000 Mann sollten zum Start u.a. als Zugführer und Kundenbetreuer angeworben werden. Für die Leistungen beabsichtigte der Unternehmer den Kauf von Triebfahrzeugen des französischen Herstellers Alstom.
Der findige Unternehmer witterte seine große Chance: Im Raum Leipzig wurde damals der SPNV auf Basis eines Ende 2002 ausgelaufenen Vertrages durch DB Regio erbracht. Moscato wollte die Zeit bis zur Neuvergabe nutzen, um die nach seiner Einschätzung „zu teure“ DB AG mit einem eigenen Unternehmen von zahlreichen Strecken zu verdrängen [Beleg]. Ende 2002 verkündete Moscato die Einrichtung einer neuen Bestellorganisation für den Raum Leipzig unter dem reißerischen Titel „SachsenBahn trickst Zweckverbände aus“. LVB und SachsenBahn sollten gemeinsam ein 3-Ebenen-Modell (Aufgabenträger, Regieebene, Verkehrsunternehmen) entwickeln. Weiterhin hieß es in der damaligen Pressemitteilung: „Die Zulassung als Eisenbahninfrastruktur- und Eisenbahnverkehrs-unternehmen von SachsenBahn ist in Vorbereitung. Sie wird für künftige Ausschreibungen von Verkehrsleistungen benötigt. Antonio Moscato wird sich aus der SachsenBahn zurückziehen, um die erforderliche personelle und gesellschaftsrechtliche Unabhängigkeit der neuen Bestellorganisation zu gewährleisten“ [Beleg].
Doch zur Unternehmensgründung kam es nie. U.a. scheiterte der Halbitaliener beim zuständigen Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL). Dem Aufgabenträger war der „Newcomer“ nicht geheuer, eine angeforderte EVU-Zulassung sowie Nachweise zur finanziellen Leistungsfähigkeit blieb der Unternehmer schuldig. Moscato schoss umgehend zurück, unterstellte dem ZVNL Korruption und überzog ihn mit Strafanzeigen. Für ein ggf. noch mögliches Vertragsverhältnis mit dem Aufgabenträger sicherlich kein förderliches Vorgehen.
Kurzzeitig sah es so aus, als würde die Sachsenbahn wirklich starten. In einem Newsletter gab Moscato am 02.06.2003 bekannt: „Wir haben am 28. Mai 2003 den Gesellschaftsvertrag der „SEG Sächsische Eisenbahn GmbH“ mit dem Sitz in Leipzig beurkundet. Gegenstand des Unternehmens ist die Durchführung des Fahrdienstes und ergänzender Dienstleistungen für die Erbringung von Fahrdienstleistungen für Eisenbahn, Omnibus und Straßenbahn insbesondere im Freistaat Sachsen. Wir fahren ab Dezember 2003 unter der Marke „SachsenBahn“.“ Am 26.11.2003 hieß es: „Wir stellen zum 15.12.2003 kurzfristig rund 200 Kundenbetreuerinnen und Kundenbetreuer für den Einsatz in S- und RB-Zügen der DB Regio ein. Bis Ende 2004 übernehmen wir typische Aufgaben eines Verkehrsverbundes, die Züge betreibt DB REGIO. Zum Jahreswechsel 2004/2005 ist DB Regio vollständig abgelöst.“ Doch diese bizarr-übertriebenen Vorstellungen von Moscato sollten sich nie bewahrheiten.
Auch Ende 2003 hatte der Unternehmer den Aufgabenträger brüskiert, indem er am 10.12.2003 die SEG erneut als neue Bestellerorganisation und somit ZVNL-Nachfolger präsentierte [Beleg]. Die SEG sollte einen landesweiten Fahrzeugpool einrichten und mittelfristig die SPNV-Leistungen der DB Regio AG an private Bahnen zu vergeben. Die von Moscato benannten Unternehmen Vogtlandbahn, Connex Regiobahn, Arriva, Nedbahnen und die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) stritten jedoch in der Presse jegliche Verhandlungen mit dem Unternehmer ab. Als „Plan B“ offerierte Moscato eine Tätigkeit seiner Sachsenbahn als Eisenbahnverkehrsunternehmen. Im Falle einer Zuschlagerteilung warf Moscato damals die Übernahme des europaweit zur Übernahme ausgeschriebenen Werkes Delitzsch (heute Teil von EuroMaint Rail) in die Wagschale. Die Idee eines „Schienenfahrzeugpools für den Nahverkehrsraum Leipzig“ hatte Moscato bereits 2001 zusammen mit der MVV-Beratungstochter RegioRail grob skizziert [Beleg].
Auch mit der DB AG legte sich Moscato mehrfach an, konnte aber die Verfahrenskosten nicht vollständig tragen. Der Gegner engagierte Gerichtsvollzieher für die ausstehenden 4952,20 EUR, Moscato musste sein (nicht vorhandenes) vermögen offenlegen und am 22.06.2004 einen so genannten Offenbarungseid leisten. Weitere Forderungen an Moscato beinhalteten u.a. eine angekündigte Finanzspritze an den damals finanziell angeschlagenen Fußballverein VfB Leipzig sowie ein von ihm initiiertes Nachprüfungsverfahren gegen den ZVNL mit einer fälligen Gebühr von 7.000 EUR. Beglichen hatte Moscato hingegen Gerichtskosten, die ihm ein Streit mit den städtischen Beigeordneten Holger Tschense und Peter Kaminski eingebracht hatte. Der Vorwurf der Verleumdung und übler Nachrede wurde im Fall Kaminski in einem von drei Punkten anerkannt und Moscato zahlte 279,90 EUR.
Fast schon dreist kündigte der Unternehmer mehrfach an, dass die Sachsenbahn „bald“ über die nötigen Geldmittel verfüge, zudem habe „das Unternehmen hat nichts mit meiner persönlichen Bonität zu tun“. Moscato sagte u.a. in der lokalen Presse, sein Vertrag mit dem potenziellen Geldgeber sehe nur im Erfolgsfalle Geldzahlungen vor, später benannte er „einen französischen Konzern“ als Financier.
Nachdem es sich Moscato mit zahlreichen politischen Stellen verscherzt und die DB AG gegen sich aufgebracht hatte, blieb nur ein finanzielles Fiasko zurück: Nach fünf einstweiligen Verfügungen konnte Moscato die Gerichtskosten nicht mehr bezahlen, zwei Immobilien aus seinem Eigentum wurden versteigert. Der danach verbleibende Schuldenberg betrug nach Aussage regionaler Tageszeitungen rund 300.000 EUR.
Moscato tauchte im Sommer 2004 ab und erschien erst 2011 wieder in der Presse: Im Rahmen der Bürgermeisterwahl im Baden-Württembergischen Widdern ließ sich der Unternehmer als Kandidat aufstellen. Jedoch ohne Erfolg – der damals 46-jährige konnte nur 0,1 Prozent der Stimmen für sich gewinnen. Im Rahmen der Wahl war u.a. das Thema „Jagsttalbahn“ thematisiert worden. Moscato hatte sich kritisch bezüglich einer Reaktivierung geäußert.
Moscato hatte sich bereits Ende der 1980er Jahre (vsl. 1987) schon mal in der Politik versucht: Mit einer Jungen Liste als Abspaltung von CDU der Jungen Union („wenn ich mich recht erinnere erfolglos“, so ein Informant aus Heidelberg) bei der Kommunalwahl.
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